06. Jun 2017
2015 erschien eine neue Monografie zur Gefängnisseelsorge. Der Kriminologe Alexander Funsch aus Deutschland veröffentlichte seine Dissertation: Alexander Funsch, Seelsorge im Strafvollzug. Eine dogmatisch-empirische Untersuchung zu den rechtlichen Grundlagen und der praktischen Tätigkeit der Gefängnisseelsorge. Schriften zur Kriminologie. Bd. 5. Nomos Verlag, Baden-Baden 2015, (zugl. Tübingen Dissertation 2015).
Funsch verfolgt einen empirischen Ansatz: er hat ca 100 Gefängnisseelsorgende aus deutschen Gefängnissen via Fragebogen befragt. Dies ist eine der sehr seltenen Gelegenheiten, durch die empirische Daten zur Gefängnisseelsorge zur Verfügung stehen. Die ersten ca. 250 Seiten sind hermeneutisch geprägt. Dort erarbeitet er anhand von Rechtsquellen die Stellung der Gefängnisseelsorge seit dem 14. Jahrhundert. In einem weiteren Kapitel arbeitet er die Quellen zu Strafzweck- und Strafziel in Philosophie (Kant) und Theologie (vom AT bis Barth) auf. Diese hermeneutische Darstellung finde ich gelungen. Allerdings sind Quellenarbeiten in diesem Bereich nicht neu. Peter Brandt ("Die evangelische Strafgefangenenseelsorge" , 1985) hatte da schon geforscht , ebenso gibt es Forschungen zu Strafzweck und Strafziel (am kürzesten zusammengefasst in EKD Denkschrift von 1990 "Strafe- Tor zur Versöhnung", aber auch die Arbeiten auf katholischer Seite von Wiesnet, Gareis, Molinski aus den 1980er Jahren, oder die Arbeiten des Kriminologen Herman Bianchi aus den 80er Jahren). Wo sich Funsch zu Seelsorge selbst und zu Konzeptionen von Gefängnisseelsorge äussert, hätte ich mir einen Theologen gewünscht. Dieser Teil hat mich persönlich nicht gleich überzeugt, wie der Rest.
Die Dissertation ist deshalb lesenswert, weil sie Haltungen, Ziele und Aufgaben der Gefängnisseelsorgenden in ihrer Arbeit erfragt und zeigen kann, welches Ziel und welche Tätigkeit wie stark gewichtet werden. Ich werde die Arbeit von Funsch vorstellen am 5./6. September 2016 in Bern im Modul "Seelsorgekonzeptionen und Seelsorge mit Muslimen. Gottesdienst, Kasualien und Seelsorge im Straf- und Massnahmenvollzug. Theologische und seelsorgerliche Reflexion der Arbeit im Gefängnis." Dieses Modul ist ausgesprochen für erfahrene Seelsorgende geeignet, ich freue mich, wenn neben denen, die den CAS machen, auch Kollegen mit Berufserfahrung mitdiskutieren. Es gibt noch ein paar wenige freie Plätze.
Ich möchte Euch gern die Schlussbetrachtung von Funsch vorstellen, die ich ermutigend finde, weil sie als Fazit einer empirischen Studie wirklich gut tut und unsere Arbeit würdigt.
Frank Stüfen, Studienleiter SSMV
Die Gefängnisseelsorge wird in der medialen und wissenschaftlichen Öffentlichkeit nur wenig wahrgenommen. Diametral zu diesem Schattendasein steht das umfängliche Wirken im Strafvoll~ug. Das breite Aufgabengebiet, insbesondere das Abhalten von Gottesdiensten und die zahllosen Gespräche mit Gefangenen, sowie der große von ihr betreutePersonenkreis, der neben den Gefangenen vor allem die Bediensteten und die Angehörigen der Inhaftierten umfasst, zeichnen die Arbeit der Gefängnisseelsorge aus. Die große Präsenz in der Vollzugsanstalt, die Beteiligung an den staatlichen Resozialisierungsbemühungen und die selbstlose Bereitschaft, sich den Gefangenen anzunehmen und sich ins Anstaltsleben einzubringen, ruft regelmäßig den Respekt aller Beteiligten hervor. Vor allem die Bediensteten schätzen den Seelsorger, weil er sich auch um ihre Anliegen kümmert. Darüber hinaus hat das seelsorgerliche Wirken einen positiven und beruhigenden Effekt auf die Gefangenen, wodurch wiederum den Bediensteten der Umgang mit den Inhaftierten erleichtert wird.
Die Zwischenstellung der Seelsorge als Teil der Vollzugsanstalt und dennoch von außen kommend geben ihr außerdem Einblicke in den Strafvollzug, die sonst keinem Beteiligten möglich sind. Das eröffnet immer neue Handlungsmöglichkeiten. Die Achtung davor sowie vor dem nicht zu unterschätzenden anerkannten Verdienst der Seelsorge im Strafvollzug erlaubt ihr, mitunter unangenehme Problemlagen anzusprechen und gemeinsam Lösungswege zu suchen.
Welchen Wert die Gefängnisseelsorge für den Strafvollzug hat und wie sehr sie ihn bereichert, ließe sich wohl erst ermessen, wenn sämtliche Anstrengungen der Gefängnisseelsorge wegfielen.