In Aargauer Gefängnissen bis zu 23 Stunden eingeschlossen: Anti-Folter-Kommission kritisiert Haftbedingungen

Eine mangelhafte Infrastruktur und Häftlinge, die 23 Stunden am Tag in ihren Zellen eingeschlossen sind: Das sind zwei Kritikpunkte der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter. Der Regierungsrat prüft nach dem Bericht der Kommission über die Aargauer Bezirksgefängnisse mögliche Verbesserungen.

Blick in das Bezirksgefängnis Aarau im Amtshaus - auch hier gibt es laut der Anti-Folter-Kommission einige Misstände.  Foto: Emanuel Freudiger
Blick in das Bezirksgefängnis Aarau im Amtshaus - auch hier gibt es laut der Anti-Folter-Kommission einige Misstände.
Foto: Emanuel Freudiger

Im Sommer 2019 besuchte die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter die Bezirksgefängnisse Aarau Amtshaus und Aarau Telli, Baden, Zofingen und Kulm, «um die Situation von Personen im Freiheitsentzug zu überprüfen», wie es im Bericht zum Besuch heisst. Dieser wurde erst kürzlich auf der Website der Kommission publiziert – und er fällt nicht gerade positiv aus.

Fünf Gefängnisse bieten Platz für 122 Häftlinge

Standorte in Aarau, Baden, Unterkulm und Zofingen

Der Kanton Aargau verfügt über fünf Bezirksgefängnisse mit insgesamt 122 Haftplätzen für den Vollzug vorläufiger Festnahmen, von Untersuchungshaft und kurzen Freiheitsstrafen. In Zofingen können 37 Personen untergebracht werden, in Baden gibt es 25 Plätze, das Bezirksgefängnis Kulm ist für 23 Personen ausgelegt. Die Bezirksgefängnisse in Aarau verfügen über total 37 Plätze, von denen sich 14 Plätze im Gefängnis Aarau Telli und 23 Plätze im Gefängnis Aarau Amtshaus befinden. Die Übersicht über freie Plätze hat eine Stelle im Zentralgefängnis Lenzburg, der sogenannte Single Point of Contact. Von dort aus erfolgt die Zuteilung von neuen Gefangenen auf die Standorte. (fh)

Aufgrund ihrer Feststellungen ergebe sich ein kritisches Gesamtbild, schreibt die Anti-Folter-Kommission. Auf insgesamt 13 Seiten listet die Kommission detailliert auf, was sich in den Aargauer Gefängnissen aus ihrer Sicht ändern muss.

Zellen: Zu wenig frische Luft und zu dunkel

Die Kommission stuft demnach die materiellen Haftbedingungen, «insbesondere die kritischen Luft- und Lichtverhält-nisse in den Zellen, als problematisch ein». So könnten die Fenster in den Zellen in Aarau, Baden und Kulm nicht geöffnet werden.

Die Kommission stellte dort eine schlechte Luftqualität in den besichtigten Zellen fest. Gitter, Milchglas und ein Vorraum vor den Fenstern führten dazu, dass es in den Zellen ziemlich dunkel sei.

Die Regierung hält dazu in einer Stellungnahme fest, dass die Luftzufuhr und die Lichtverhältnisse in allen untersuchten Zellen den gesetzlichen Vorgaben entsprächen. Weil sich die Bezirksgefängnisse in zentral gelegenen, öffentlichen Gebäuden befinden, könnten die Zellenfenster aus Sicherheitsgründen nicht geöffnet werden. Die Frischluftzufuhr sei über eine interne Lüftung sichergestellt.

Spazierhöfe: Überdachen und Sitzplätze schaffen

Die Kommission nahm auch die Spazierhöfe in Augenschein und bringt mehrere Kritikpunkte an. Der Spazierhof im Gefängnis Aarau Telli ist nicht überdacht, in Baden und im Telli-Gefängnis gibt es keine Tischtennistische und Basketballkörbe, Sitzgelegenheiten gibt es nur in den zwei Gefängnissen Aarau Amtshaus und Zofingen, in Kulm und in beiden Aarauer Gefängnissen ist keine Sicht aus dem Spazierhof möglich.

Die Kommission empfiehlt, die Spazierhöfe mit Sport- sowie Sitzmöglichkeiten auszustatten. Zudem sollte im Spazierhof des Bezirksgefängnisses Aarau Telli ein Wetterschutz installiert werden.

Der Regierungsrat äussert sich in einem Satz zu dieser Kritik: «Massnahmen zur attraktiveren Gestaltung der Spazierhöfe werden derzeit geprüft.»

Haftregime: Gefangene zum Teil zu lang eingeschlossen

In mehreren Gefängnissen werden sowohl Untersuchungshäftlinge als auch Personen untergebracht, die eine kurze Freiheitsstrafe absitzen müssen. Die Anti-Folter-Kommission kritisiert diese Durchmischung der verschiedenen Haftregime.

Sie führe «zu einer unnötigen Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Personen im Strafvollzug», heisst es dazu im Bericht. In den Gefängnissen Aarau und Zofingen seien Untersuchungshäftlinge während 23 Stunden in den Zellen eingeschlossen.

In den beiden Bezirksgefängnissen Baden und Kulm hätten auch Personen im Strafvollzug ihre Zelle nur für eine Stunde pro Tag verlassen dürfen. Die Kommission ist der Ansicht, «dass Zelleneinschlüsse von über 20 Stunden unangemessen sind».

Die Regierung schreibt, das Amt für Justizvollzug prüfe, wie die Trennung der Vollzugsform nach Standorten umgesetzt werden könne. Dabei sollen auch Massnahmen festgelegt werden, wie die Zelleneinschlusszeiten in Bezirksgefängnissen reduziert werden können.

Derzeit sei dies nicht umsetzbar, weil sonst die Haftarten nicht wie gesetzlich vorgeschrieben voneinander getrennt werden könnten.

Alltag: Arbeit ermöglichen, Sportgeräte installieren

Die Kommission hält fest, dass Häftlinge nicht in allen Gefängnissen die Möglichkeit hätten, einfache Arbeiten für die Industrie oder Wäscherei auszuführen. Sie verlangt, dass insbesondere Gefangene im Strafvoll-
zug mehr Beschäftigungsmöglichkeiten erhalten sollten.

Zudem solle der Zugang zu Sport- und Freizeitmöglichkeiten verbessert werden, so gebe es nur im Gefängnis Aarau Amtshaus einen Fitnessraum. Aufenthaltsräume fehlen laut der Kommission an mehreren Standorten.

Der Regierungsrat schreibt, künftig sollten in Gefängnissen, wo Personen im Normalvollzug inhaftiert sind, mehr Beschäftigungsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt werden. Gleichzeitig werde die Aufstockung der Sport- und Freizeitmöglichkeiten geprüft.

Beispiele möglicher Massnahmen sind Arbeitsmöglichkeiten, Gemeinschaftsräume, Sport- und Freizeitmöglichkeiten wie Tischtennis, Tischfussball oder Fitnessgeräte.

Kanton will Verbesserung der Infrastruktur prüfen

Zusammenfassend kommt die Anti-Folter-Kommission zum Schluss: In vier der fünf untersuchten Gefängnisse (Aarau Amtshaus und Telli, Baden, Kulm) sollten Häftlinge aufgrund der Verhältnisse nicht länger als einen Monat untergebracht werden. Zudem regt die Kommission an, Ersatz zu schaffen, falls in naher Zukunft keine Verbesserung bei der Infrastruktur der Gefängnisse möglich sei.

Häftlinge höchstens einen Monat im Bezirksgefängnis unterzubringen, ist laut Regierung nicht möglich. Bei dieser Regel müssten alle Gefangenen, die mehr als einen Monat in U-Haft sind, ins Zentralgefängnis Lenzburg versetzt werden. Dort gebe es aber nicht genug Zellenplätze, andere Alternativen zum Vollzug der Untersuchungshaft gebe es im Kanton nicht.

Der Regierungsrat ist sich allerdings bewusst, dass in den Aargauer Bezirksgefängnissen Handlungsbedarf bei der Infrastruktur besteht. Das Innendepartement, das für den Vollzug der Haftstrafen zuständig ist, und das Finanzdepartement, wo die kantonalen Immobilien angesiedelt sind, würden die notwendigen Verbesserungsmassnahmen vertieft abklären, verspricht die Regierung.